Gestern vor genau 100 Jahren fand mit «Battle of Jutland» die angeblich grösste Seeschlacht aller Zeiten statt. Obwohl die Vorherrschaft des englischen Epires mit dieser Auseinandersetzung nicht beenden werden konnte, fügte die deutsch kaiserliche Marine der flottenmässig überlegenen Royal Navy mit der spektakulären Versenkung der Grosskampfschiffe «Indefatigable» und «Queen Mary» doch empfindliche Verluste zu. Und schrieb dabei nicht nur Kriegsgeschichte, sondern schuf ein Lehrstück in Sachen Taktik und Methodik, von welchem wir noch heute einiges abgucken können.
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Auch gestern wurde auf einem deutschen Privatsender die letzte Folge der finalen Staffel von «Two and a Half Men» ausgestrahlt. (Ich weiss, Serienjunkies haben sich diese vor mehr als einem Jahr schon reingezogen – und das erst noch in Englisch.)
Nach 261 Folgen schütteten Jon Cryer, Holland Taylor, Melanie Lynskey und allen voran Macher Chuck Lorre ein letztes Mal so richtig Hähme über den langjährigen Hauptdarsteller Charlie Sheen, von dem man sich nach acht äusserst erfolgreichen Staffeln im Streit trennte, um ihn sogleich mit Aston Kutcher zu ersetzen. Dieser Showdown hielt, auch in Deutsch, einige wirkliche Lacher bereit und wäre letztlich nicht halb so lustig herausgekommen, hätten sich die Darsteller und ihre Rollen nicht selbst ausgiebig auf den Arm genommen. Dabei machten die Akteure auch über das Soap-Format, das Fernsehen und die Gagschreiber Spässe und blickten wiederholt in die Kamera oder fielen sonstwie aus der Rolle.
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Das war gleichermassen amüsant und ungewöhnlich. Doch vor allem führte dies dem Zuschauer vor Augen, dass man sich beim Fernsehmachen seiner Anwesenheit und seiner Erwartungen durchaus bewusst ist.
Ich war verblüfft, wie erfrischend sich dies als Zuschauer auch auf mich auswirkte. Umso ernüchternder war denn auch die Erfahrung, als ich von einem der unzähligen Werbeblöcke wieder unsanft auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde.
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Die Werbung ist sich der Anwesenheit des Zuschauer natürlich auch bewusst. Doch ist sie noch immer nicht in der Lage (oder willens), angemessen darauf zu reagieren.
So geschah es, dass ich einen Werbespot eines Grossverteilers zum Thema «Bio», zu dessen Zielgruppe ich durchaus zähle, und den ich abgesehen davon als gelungen betrachte, gestern Abend insgesamt fünf Mal sah.
Grundsätzlich bin ich eine interessierte Person. Ich lasse mir gerne Geschichten erzählen. Überraschende und unterhaltsame gerne auch mehrmals. Doch gefühlt zum hundertsten Mal ein Werbefilm vorgesetzt zu bekommen ändert keineswegs mein Verhalten.
Auch wenn Test angeblich beweisen, dass Konsumenten sich besser erinnern, wenn ihnen was reingehämmert wird, gehe ich heute nicht «Bio» einkaufen. Schon gar nicht bei diesem Anbieter.
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Stattdessen schreibe ich diesen Beitrag.
Anlass dazu gibt mir das traurige Jubiläum von der «Battle of Jutland».
Der britische Kolumnist und Altwerber Dave Trott schrieb in der Werbepostille «campaign» vor drei Jahren schon darüber. Als begeisterter Leser seiner intelligenten Texte erlaube ich mir nun, dies hier aufzunehmen und in meinen Worten wiederzugeben.
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Als die deutschen Seeverbände unter der Führung der Admiräle Reinhard Scheer und Franz Hipper auf die Royal Navy trafen, sorgten viele unterschiedliche Umstände für den Verlauf und den Ausgang der Schlacht. Auf die meisten dieser Voraussetzungen, Begebenheiten und Zufälle gehe ich hier nicht ein.
Vielmehr möchte ich mich ausschliesslich der Tatsache widmen, dass es den Deutschen gelang, mit der «Indefatigable» und der «Queen Mary» innert kürzester Zeit zwei gegnerische Kampfschiffe so zu treffen, dass diese innert weniger Minuten sanken und mit sich weit über 2’000 Matrosen in den Tod rissen.
Obwohl die britischen Schlachtschiffe über Geschütze verfügten, die an Reichweite, Durchschlag- und Feuerkraft allem überlegen waren, was sich ihnen in den Weg stellte, waren sie dennoch empfindlich getroffen worden.
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Die Ursache lag im Prinzip der althergebrachten Kriegsführung:
Im 1. Weltkrieg war es noch immer schwierig, mit Kanonen einen Gegner genau zu treffen. Bei Seegang auf eine Distanz von mehreren Kilometern erst recht. Zwar verfügte man über immer bessere Technologien, dennoch verlief der Beschuss damals noch immer nach der «Try and Error» Methode, gemischt mit einer gehörigen Portion Zufall. Entsprechend gerieten die Streitkräfte in Hektik, sobald sie auf einander trafen. Es galt möglichst oft zu feuern, um anhand der Flugbahnen der Geschosse die Geschütze zu justieren.
Um eine möglichst hohe Frequenz in ihrem Dauerfeuer zu gewährleisten, blieben bei den britischen Panzerschiffen die Schleusen zum Munitionslager oft lange geöffnet.
Dies wusste die deutsche Flottenführung aus eigener Erfahrung. Man entschied sich deshalb dazu, dieses Risiko bei sich zu minimieren und anstelle eines Dauerfeuers sorgfältiger zu zielen.
Dass die «Indefatigable» und die «Queen Mary» trotz materieller Überlegenheit durch Treffer ins Munitionslager versenkt wurden, ist sicherlich auch Zufall. Aber es ist zugleich Beweis dafür, dass dank überlegtem Handeln und sorgfältiger Vorbereitung mit weniger Aufwand mehr erreicht werden kann.
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Schlussfolgerungen lassen diese Ereignisse von damals unterschiedliche zu. Ich für mich ziehe daraus, dass nicht Frequenz alleine zählt. Zwar wird die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit, Zielgruppen zu erreichen, durchaus erhöht. Doch ist zugleich die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Treffer zwar die Aussenhülle erreichen, der Schutzmechanismus aber standhält.
Zielpersonen richtig zu treffen, bedarf sorgfältiger Arbeit. Und den richtigen Einsatz der verfügbaren Technologien.
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Ich bin seit ein paar Monaten Vater. Dem grossen Ereignis gingen Monate der Vorbereitung voraus. Unzähligen Webrecherchen folgten viele Online-Einkäufe.
So kam es, dass ich beim heutigen Nachlesen der Ereignisse zur «Battle of Jutland» auf einem Newsportal abermals einer Display Ad für den Kinderwagen begegnete, den ich zwangsläufig inzwischen gekauft habe.
Die Werbung hat ihre Geschütze zwar technisch nachjustiert und die Treffsicherheit erhöht. Doch die grosse Explosion bleibt bei mir dennoch aus. Das ist den Blindgängern zu verdanken, die man auf mich abfeuert. Dabei bedarf es eigentlich keiner allzu grossen Intelligenz, mir etwas vorzusetzen, das ich nicht schon recherchiert habe. Oder doch?
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Fest steht, dass eine Reduktion der Frequenz bei etwas erhöhter Treffsicherheit zumindest das Fernseherlebnis verbessern würde. Und damit womöglich die Werbemüdigkeit der Konsumenten wieder erhöhter Aufmerksamkeit weichen könnte.
Ein weiterer positiver Effekt davon wäre sicherlich auch, dass Werbebotschaften wieder mit mehr Mitteln und mehr Sorgfalt aufbereitet würden. Denn wer schiesst schon mit lahmer Munition, wenn die Möglichkeit besteht, gleich beim ersten Abdrücken zu treffen?
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