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Vergangenen Montag hat das neue Schuljahr begonnen. Wie jedes Jahr sieht man überall Knirpse mit übergrossen Schultheken am Rücken auf dem Weg in die erste Klasse – stets an der Hand eines etwas besorgt blickenden Elternteils. Überall dort, wo die elterliche Begleitung fehlt, gilt es für Verkehrsteilnehmer besonders Vorsicht walten zu lassen.
Denn naheliegenderweise sind die ABC-Schützen nicht im Geringsten mit dem Verkehr und den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des hektischen Miteinanders vertraut.
Doch das ist nur ein Teil des Problems.
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Eine im Mai dieses Jahres veröffentlichte Studie besagt, dass die durchschnittliche Aufmerksamkeitsdauer der Menschen am Sinken ist. Als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen nahmen die Forscher die Beobachtung, dass sich das menschliche Gehirn nach einer gewissen Dauer zu verändern beginnt, gilt es, sich veränderten Lebensbedingungen anzupassen. So kommt die durch Microsoft in Auftrag gegebene Studie zum Schluss, dass die Digitalisierung mit der einhergehenden Reizüberflutung und der gleichzeitigen Nutzung vieler Organisations- und Informations-Tools zur Folge hat, dass unsere Aufmerksamkeit nicht nur nachlässt, sondern sich in unterschiedliche «Qualitäten» aufsplittert.
Dass Microsoft eine positive Bilanz zum «Digital Shift» zieht und die Erkenntnisse sogleich in eine Werbeoffensive ummünzt, überrascht natürlich nicht.
Dennoch findet man die Erkenntnis eigenartig befremdend, dass wir Menschen mittlerweile eine kürzere Aufmerksamkeitsdauer aufzubringen vermögen als Goldfische (siehe Link am Beitragende).
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Fährt man einem Trottoir entlang im Wissen, dass den da zerstreut vor sich hin trödelnden Kindern die Touch-Devices und Spielkonsolen bereits in die Wiege gelegt wurden, so hält man unweigerlich den Atem an und erstellt vorsorglich Bremsbereitschaft.
Doch wie ist es wohl um den Unterricht bestellt? Wie schaffen es die Lehrkräfte, die hibbeligen Kinder bei Stange zu halten und ihnen sowas Veraltetes wie Lesen beizubringen? Bei allem Sarkasmus sehe ich da schon einige Herausforderungen auf uns zukommen.
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Tatsächlich hat sich die Form, wie wir Informationen weitergeben und verarbeiten, massiv verändert.
Natürlich haben sich gleich mehrere Entwicklungen gegenseitig unterstützt. Doch das ändert nichts am Ergebnis:
Wir betrachten immer mehr Videos und Bilder, während wir langsam zu Analphabeten werden. Immerhin hat das Phänomen des grassierenden Analphabetismus in vielen Industriestaaten wie den USA noch viele andere Ursachen.
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Dennoch steht fest, dass wir Schauen und Hören dem Lesen vorziehen. Einerseits aus Bequemlichkeit. Andererseits aus Gründen der Effizienz. So kann das Gehirn Audiovisuelle Reize nicht nur schneller verarbeiten. Es kann dabei auch anders assoziativ aktiv sein. Während nämlich selbst geübte Leser Teile des Gehirns zum «Entziffern» und «Bebildern» brauchen, bleiben beim Betrachten von Videos diese Gehirnregionen mehrheitlich ungenutzt.
Ob diese Gehirnkapazitäten anderweitig genutzt werden oder verkümmern, hängt hingegen von den Gewohnheiten und Absichten des Individuums ab.
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Tatsache ist, dass z.B. die Filmfunktion von Smartphones oder die allgemein massiven Verbilligungen der Produktionsmittel zu massiv mehr Bewegtbild-Inhalten führt. Gepaart mit Breitband auf Festnetz und Mobile hat dies zur Folge, dass wir immer und überall Content aus Bildern und Videos angeboten bekommen – und diesen dem Geschriebenen vorziehen.
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Während ich nun im Auto sitze und über all das nachdenke, drohe ich mich nicht nur durch meine Gedankengänge vom Verkehr abzulenken. Zugleich informiert mich auch noch mein Bordcomputer über hohes Verkehrsaufkommen in der Innenstadt und mein Mobile über den Eingang einer Short Message.
Ich zwinge mich, mir vorzustellen, ich sei ein Goldfisch und halte artig an einem Zebrastreifen.
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Artikel zum Beitrag auf Heise: http://www.heise.de/tp/artikel/44/44935/1.html